Christian Seeberger, Erster Bürgermeister von Erkheim, vertrat Landrat Eder als stellvertretender Landrat und begrüßte die Gäste und Puzzlestück-Besitzer.
Pressebericht: © Springer-Restle
Unterallgäu – Bereits zum neunten Mal trafen sich Ortsvorsteher und selbsterklärte Liebhaber der 52 Gemeinden des Unterallgäus zu einem geselligen Austausch und zum Pflegen bewährter Traditionen, in dem Fall zum gemeinsamen Puzzle-Bauen.
Vor mehr als neun Jahren wurde das Landkreispuzzle ins Leben gerufen. Der Verein ProNah, der sich für den Ausbau regionaler und nachhaltiger Infrastrukturen innerhalb des Unterallgäus einsetzt, war seinerzeit auf der Suche nach einer Art „Liebeserklärung“, die die Eigen- und Besonderheiten von Mensch, Natur und Architektur in der Region herausarbeitet, die Gemeinden zusammenführt, ohne deren Individualität zu untergraben. So entstand die Idee des Puzzles, bei dem jede Gemeinde ihr Puzzleteil selbst mitgestalten konnte. Umgesetzt wurde die Idee von der Memminger Holzkünstlerin Agnes Keil, die den Landkreis maßstabsgetreu als Puzzle gestaltete. Das Kunstwerk ist aus mehrschichtigem Lindenholz gefertigt und hat ein Ausmaß von 3,20 x 3,20 Meter. Nach Fertigstellung wurden die 52 Puzzleteile damals von ProNah versteigert.
Gemeinsam individuell
Jedes Puzzlestück ist zwar in sich ein eigenes Kunstwerk und die ortsbezogenen Motive sind in das Holz geschnitzt, sie hören jedoch nicht abrupt an den Gemeindegrenzen auf. Dieser Kniff steht symbolisch für den Zusammenhalt innerhalb des Landkreises.
Doch nicht jeder Ortsvorsteher ist Besitzer des Puzzlestücks für seine Gemeinde. So mancher hielt die Versteigerung seinerzeit wohl für eine unnötige Spinnerei. Dass daraus eine hübsche Tradition werden würde, hatten manche nicht geahnt. Und ein Originalpuzzleteil im Nachhinein zu erwerben, ist fast unmöglich, da die Besitzer wissen, dass der bloße Besitz der Garant für einen interessanten und unterhaltsamen Abend ist. Denn einmal im Jahr organisiert ProNah den gemeinsamen Puzzlebau in der Dampfsäg in Sontheim, wo Regionalität und Nachhaltigkeit sowohl architektonisch als auch kulinarisch ganz im Sinn des Vereins gelebt werden.
Am vergangenen Montag referierte der Erste Bürgermeister aus Kirchanschöring (Lkr. Traunstein), Hans-Jörg Birner. Er wurde eingeladen, weil seine Gemeinde eine der ersten „Gemeinwohlökonomiekommunen“ in Deutschland ist – ein langes Wort, das komplexer klingt, als es ist. Im Grunde geht es darum, eine Gemeinde so auszurichten, dass nicht nur wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund stehen, sondern dass alle Bürger ein gutes Leben haben können. Birner stellte im Laufe seiner 13-jährigen Amtszeit immer wieder fest, dass Bürgermeister ihren Erfolg daran messen, wie viel Beton sie während ihres Wirkens verbaut haben, wie viele Straße neu entstanden sind und wie hoch die Rücklagen sind. Dabei blieben andere Dinge oft auf der Strecke. Die Gemeinde Kirchanschöring wollte wissen, wie es um genau diese anderen Dinge stehe.
Gut miteinander umgehen
„Die Gemeinwohlbilanz prüft, wie man miteinander umgeht“, erläutert Birner. Er machte kein Geheimnis daraus, dass auch seine Gemeinde blinde Flecken hatte. Ziel war und ist, dass jedes Mitglied der Gemeinde unabhängig von Alter und sozialem Status bestmöglich leben kann. Gerade in Hinblick auf Wohnen im Alter waren einige Hausaufgaben zu erledigen. Auch der Flächenfraß, unter dem die meisten Gemeinden leiden, war Thema. Birner machte gründlich Inventur, bildete Expertenrunden, besuchte Fortbildungen und machte vor allem eines: Er befragte die Bürger, was sie sich von ihrer Gemeinde wünschen. Dabei wurden auch die Ideen und Anregungen der Alten und die Kinder berücksichtigt. Kirchanschöring fing damit an, vor der eigenen Haustür zu kehren – im wahrsten Sinne des Wortes, denn auch das Putzpersonal sollte a) aus der Gemeinde kommen und b) sollten fortan im Sinne der Nachhaltigkeit nur noch umweltverträgliche Putzmittel zum Reinigen der gemeindlichen Gebäude verwendet werden.
Vor der eigenen Haustüre kehren
Die Putzfrauen waren zunächst skeptisch, bis Birner in einem Experiment veranlasste, ein Gebäude auf der ersten Etage mit herkömmlichen und auf der zweiten mit biologisch abbaubaren Mitteln zu reinigen. Das Ergebnis überzeugte dann auch die Putzfrauen, denn beide Etagen waren blitzeblank, aber die erste stank nach Chemie.
Unter die Lupe genommen wurde auch das Thema Wohnraummangel. Bei vielen alten Häusern drohe Leerstand. Wenn man den Alten jedoch eine gute Wohnalternative anbiete, seien diese eher bereit, ihre Immobilien an die jüngere Generation zu verkaufen, so Birner. Ein gemeindliches Vorkaufsrecht verhindere ferner, dass auswärtige Investoren die Preise unnatürlich in die Höhe trieben. Doch bei allem, was Birner und sein Team machten, lag ihm eines besonders am Herzen: „Informiert die Bürger im Vorfeld und zwar gründlich. Das räumt viele Missverständnisse aus.“
Auch für den ÖPNV, der seinen Namen, wie häufig im ländlichen Raum, nicht verdiene, fand die Gemeinde eine Alternative. Es gibt Freiwilligen-Fahrdienste für ältere Menschen. Einen Euro koste eine Fahrt zum Arzt, zwei Euro zum Einkaufen. Das Angebot wurde von den Senioren überraschend gut angenommen, bis Birner mal dahinterkam, dass sich manche Damen einfach nur an den Friedhof kutschieren ließen, um dort mit Freunden und Bekannten zu ratschen.
Die ältere Bevölkerung hat es in Birners Gemeinde jedenfalls gut, denn das Senioren-Konzept umfasst nicht nur Wohnen, sondern auch Beraten und Begegnen. Beispielsweise ist eine Senioren-WG direkt neben einem Gemeindegebäude, in dem unter anderem die Musikvereine proben. So bekommt so manch junger Musiker sein erstes Publikum aus der Seniorenanlage und „kann schon mal mit dem Lampenfieber experimentieren“, erläutert Birner. Und die Alten haben noch das Gefühl, mitten drin und nicht auf dem Abstellgleis zu sein.
Die Erste Vorsitzende von ProNah, Bernadette Brem, bedankte sich für den anschaulichen Vortrag und hofft, dass sich die Ortsvorsteher des Unterallgäus inspirieren ließen. Nach einem Essen mit regionalen Spezialitäten wurde das Puzzle wieder abgebaut.