„Wirtshaussterben – ein Problem im Unterallgäu?“

25. Januar 2017

Podiumsdiskussion

Januar 2017

Wir bedanken uns bei allen Teilnehmern, Gästen und Helfern der Podiumsdiskussion zum Thema „Wirtshaussterben – ein Problem im Unterallgäu?“. Nachfolgend finden Sie den Artikel aus der Memminger Zeitung (26.01.2017) von Frau Verena Kaulfersch

Dorfgaststätten-Zahl sinkt

25.01.2017

Wirtshaussterben auf Unterallgäuer Dörfern

Vor der Diskussion zum Thema Wirtshaussterben servierte die Theatergruppe Holzgünz-Schwaighausen einen Sketch: Margarete Eisenbarth als bärbeißige Wirtin (Mitte) bescherte darin ihren Gästen, gespielt von Herbert Glass und Margot Königsberger, kulinarische Grenzerfahrungen und „Erlebnisgastronomie“ auf Allgäuer Art.

Immer mehr Wirtshäuser in Unterallgäuer Dörfern schließen ihre Türen: Bei einer Umfrage des Vereins Pro Nah und der Unterallgäu Aktiv GmbH vom Frühjahr 2016 zeigte sich, dass in insgesamt 44 Gemeinden die Zahl der Wirtschaften innerhalb der vorausgegangenen fünf Jahre von 219 auf 197 sank. Bei einer Podiumsdiskussion in Schwaighausen suchten Wirte und Kommunalpolitiker jetzt nach Rezepten gegen diese Entwicklung.

Rasch hatte die Runde, moderiert vom CSU-Landtagsabgeordneten Klaus Holetschek, eine Vielzahl von Faktoren herausgestellt, die Gastronomen das Leben schwer machen. Kritik an überbordenden Gesetzesvorschriften und Auflagen – zum Beispiel bei Brand-, Lebensmittel- und Arbeitsschutz – übte etwa Johann Britsch, Bezirksvorsitzender des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands: „Es macht keinen Spaß, Wirt zu sein, wenn man ständig Angst haben muss, etwas falsch zu machen und strafrechtlich belangt oder mit einem Bußgeld belegt zu werden.“

Das Landratsamt als Kontrollbehörde müsse die Gesetze vollziehen, sagte Landrat Hans-Joachim Weirather. Stets gebe es aber die Bereitschaft, innerhalb des Ermessensspielraums über Übergangsfristen zu sprechen oder bei baulichen Änderungen zu schauen, „was wirtschaftlich darstellbar ist“.

Als Beispiel verwies er auf eine Lösung, die mit dem Westerheimer Wirt Karl Hieber vereinbart worden sei: Er muss aus Sicherheitsgründen einen zweiten Fluchtweg für den Saal seiner Gaststätte schaffen – dafür sei jedoch eine Außentreppe ausreichend. Hieber, ebenfalls Podiums-Teilnehmer, kündigte an, noch mindestens zwei Jahre bis zu seinem 70. Geburtstag weiterzumachen.

Azubis zu finden ist schwierig

Nachwuchs- und Fachkräftemangel nannte der Erkheimer Bürgermeister Christian Seeberger, der selbst Gastronom war, als einen Grund für das Wirtshaussterben. Auch Britsch berichtete von großen Problemen, geeignete Auszubildende zu finden – dies sei ein allgemeines Problem seiner und anderer Branchen. Als einen Ansatz, dem entgegenzuwirken, stellte Weirather Investitionen in die Berufsschul-Außenstelle in Bad Wörishofen heraus: Dort sei durch Investitionen in den vergangenen Jahren ein attraktiver und moderner Standort für viele Ausbildungsberufe im Hotel- und Gaststättengewerbe entstanden.

Auch darum, wie Gemeinden aktiv werden können, drehte sich die Diskussion. Der Markt Rettenbacher Bürgermeister Alfons Weber stellte verschiedene Wege vor, die seine Gemeinde gegangen ist: So erwarb sie im Kernort eine zentral gelegene Wirtschaft, die heute auch als Kulturzentrum und Veranstaltungsort diene. Betrieben wird der Gasthof durch ein junges Wirts-Ehepaar.

Private Feste sollten weiter „beim Wirt“ stattfinden

Weil sich laut Weber bei der Gaststätte im Ortsteil Eutenhausen kein Nachfolger für den Wirt fand, übernahmen die Bürger das Ruder: Dort betreiben Ehrenamtliche eines eigens gegründeten Vereins das „Haus der Gemeinschaft“. Auch in Engetried gebe es ein Dorfgemeinschaftshaus, das von vielen Vereinen genutzt werde. Wichtig ist für Weber, dass private Feste nicht in Einrichtungen wie Vereinsheimen, sondern weiterhin beim örtlichen Wirt stattfinden. Freilich könne die Gemeinde nur darauf hinwirken, wenn sie bei einem solchen Projekt eingebunden sei.

In Richtung der Bundespolitik wies ein Punkt, der Britsch und Holetschek umtrieb: die Mehrwertsteuer. So leuchtet es Britsch nicht ein, dass der Satz zum Beispiel für „eine Bäckerei mit Stehtischen“ bei sieben Prozent liegt, für Wirte dagegen bei 19 Prozent. Auch Holetschek hielt eine Änderung für angezeigt – habe doch die Einführung des geringeren Satzes für Beherbergung im Hotel-Bereich viele Investitionen ausgelöst.

Die Befragung zum „Wirtshaussterben im Unterallgäu“:
An der Umfrage „Wirtshaussterben im Landkreis Unterallgäu“ des Vereins Pro Nah Unterallgäu und der Unterallgäu Aktiv GmbH haben sich im vergangenen Frühjahr 44 Gemeinden beteiligt – und damit fast 85 Prozent. Abgefragt wurde die Entwicklung in den vergangenen fünf Jahren.

Situation: In drei Kernorten sowie in 27 Ortsteilen gab es zum Zeitpunkt der Umfrage keine Dorfgaststätte. Auf Ebene der Gesamt-Gemeinde besaß aber jeder Ort ein Wirtshaus.

Entwicklung: In den teilnehmenden Orten haben 38 Wirtshäuser geschlossen. 18 befanden sich in Kernorten, 20 in Ortsteilen. Demgegenüber stehen 16 Eröffnungen.

Ausblick: 19 bevorstehende Schließungen waren absehbar.

Bedeutung: Vor allem als Veranstaltungsort und sozialer Treffpunkt dienen die Wirtshäuser. In zwei Orten gibt es auf der gesamten Gemeindeebene keinen anderen Veranstaltungsort.

Einschätzung: Rund 30 Prozent der Kernorte und Ortsteile sahen Bedarf, dem Wirtshaussterben entgegenzuwirken. Der Rest begründete das „Nein“ unterschiedlich: Manche Orte etwa waren noch nicht von Schließungen betroffen. Ein Argument war auch, dass der Bedarf zu gering sei oder durch andere Wirtshäuser beziehungsweise Einrichtungen abgedeckt werden könne.